Eine Handvoll Staub
Diakon Willibert Pauels, Gummersbach
Moskau im Jahre 1848. Es ist klirrend kalt, als eine Gruppe von jungen, angeblichen Revolutionären auf einen Hinrichtungsplatz geführt wird. Einer von ihnen trägt den Namen Fjodor Michaelowitsch Dostojewski. Mit verbundenen Augen werden die Unglücklichen nebeneinander aufgereiht. "Jetzt werden wir bald Christus sehen", flüstert Dostojewski seinem Nebenmann zu. "Unsinn!", antwortet dieser, "wir sind nichts Anderes als eine Handvoll Staub." Dann plötzlich ein Trommelwirbel und eine Stimme verkündet, dass der Zar in seiner unendlichen Güte die Delinquenten zu 4-jähriger Haft begnadigt hat. Es war, von Anfang an geplant, eine Scheinhinrichtung. Auf dem Weg ins sibirische Lager steckt eine wildfremde Frau dem jungen Dostojewski eine Bibel zu.
Wenn wie vorgestern am Aschermittwoch den katholischen Gläubigen ein Kreuz aus Asche auf die Stirn gezeichnet wird und der Zelebrant die Worte sagt. "Asche bist Du und zu Asche kehrst Du zurück", dann ist dies derselbe Satz, den der atheistische Freund seinem Kameraden Fjodor zurück flüsterte: "Wir sind nur eine Handvoll Staub".
Es gibt letztlich nur einen Unterschied zwischen Atheismus und Glauben. Und zwar die der letzten Perspektive: Aus atheistischer Sichtweise ist alles Leben letztlich nichts anderes als eine chemisch-biologische Reaktion in Materie, und dass von uns allen letztlich nichts anderes bleibt als eine Handvoll Asche auf dem kosmischen Abfallhaufen des Nichts, in einem völlig gleichgültigen Universum, aus Zufall entstanden, welches in Myriaden von Sternenhaufen, ohne Sinn vor sich hin rollt. Atheisten sind überzeugt, dass wir dieser Tatsache tapfer ins Angesicht schauen müssen, und viele von ihnen tun es auch. So sagt der populärste atheistische Autor Richard Dawkins, dass sogar die Liebe letztlich nichts anderes sei, als, Zitat: "..ein Trick der Evolution, ein bio-chemischer Prozess, im limbischen Gehirnlappen, zwecks Weitergabe egoistischer Gene…"
Ich glaube aber, dass selbst der leidenschaftlichste Atheist dies nicht denkt, wenn er seinem Kind in die Augen schaut. Er müsste nämlich dann ehrlicherweise sagen: "Letztlich bist Du nur ein Zellhaufen und meine Liebe zu Dir ist nur ein Trick der Evolution." Kein Mensch auf dieser Welt fühlt so. Es widerspricht der inneren Sehnsucht von uns allen. Wenn meine Mama mir in die Augen schaute, wusste ich, dass Sie dachte: "Kind, Willibert, Du hast eine Seele, Jung, einmalig und kostbarer als das ganze Universum, und nichts kann Deine Seele zerstören, auch nicht der Tod." Meine atheistischen Freunde entgegnen dann meistens: "Das wäre ja schön, aber es ist nicht plausibel." Meine Antwort darauf ist stets ein Zitat des Theologen Drewermann, der sagt: "Der plausibelste Grund, zu glauben, dass es Wasser gibt, ist der Durst."
Dostojewski, der die zugesteckte Bibel der Fremden sein Leben lang bei sich trug, vertraute diesem inneren Durst und glaubte an die österliche Botschaft vom Leben nach dem Tod. Für mich hat diese Hoffnung niemand schöner ausgedrückt als Papst Benedikt. Er schreibt: "Gott sagt dir zu: Dort, wohin Du nichts mitnehmen kannst und wohin Dich niemand begleiten kann, dort warte ich auf Dich, um für Dich die Finsternis in Licht zu verwandeln."
Wie der Hirsch schreit
aus: Trivium - Zittauer Dreiländerpsalmen, op. 133 / II. Teil - Deutschland (für Sopran und Orgel)
Wie der Hirsch nach frischem Wasser schreit, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?
Aufnahme in der Kirche Mariä Himmelfahrt, Schirgiswalde / Sopran: Kristýna Filová, Orgel: Neithard Bethke
Die komplette Aufnahme finden Sie hier:
https://open.spotify.com/album/1rWRn4I5oAhNaevjZGTZ2m