NEITHARD BETHKE                          WERKVERZEICHNIS - NBWV
  
 


helle Figur vor einem dunklen Hintergrund

VOM VIERTEN KÖNIG
op. 116/2021


Oper in drei Akten, ca 2,5 h - für Soli, Chor und Orchester, frei nach dem Roman „Die Legende vom vierten König“ von Edzard Schaper, nach einem Libretto von Thomas Isermann

Bildquelle: Keramik Atelier Maria - Luise Bodirsky, www.keramik-atelier.bodirsky.de




VORWORT

von Thomas Isermann

Die Legende „Vom Vierten König“ deutet bereits mit dem Titel an, dass es um Geschehnisse geht, bei denen es mit dreien nicht getan ist. Zu welchen dreien sich welcher vierte König gesellt, erschließt sich, wenn wir ihnen das Wort „heilig“ voranstellen. Dann wissen wir sofort, wer gemeint ist: Caspar, Melchior und Balthasar. Wenden wir uns an die Bibel, wenn wir der Frage nachgehen, wer diese drei Könige waren und warum sie „heilig“ genannt werden, erhalten wir keine eindeutige Auskunft. Bei Matthäus handelt es sich weder um Könige, noch um Heilige, noch auch sind es genau drei, schon gar nicht mit diesen Namen. Matthäus nennt sie „magoi“, Magier, Weise, heute würden wir sagen: Gelehrte, die von Herodes den Auftrag erhalten, die Geburtsstätte und die Umstände des eben geborenen Christus auszukundschaften, doch die derart überwältigt sind von dem Anblick des bedrohten Kindes, dass sie von ihrem Auftrag absehen und nicht zu Herodes zurückkehren, nicht ihm Bericht erstatten. Aufgrund dieses Sinneswandels heißen sie „heilig“. Drei sind sie, weil man aus der Zahl der Geschenke, Weihrauch, Myrrhe und Gold, auf ihre Zahl schloss. Das ist recht unsicher assoziiert. Bei den anderen Evangelisten kommen sie gar nicht erst vor.

Ouvertüre der Oper "Vom Vierten König" Hörbeispiel, Audiodatei

Drei Könige sind jedoch die Vorrausetzung eines vierten. Das ist unmittelbar logisch. Wollen wir von einem vierten König berichten, dann müssen wir drei Könige als gegeben hinnehmen. Wozu uns, nebenbei gesagt, niemand zwingen kann, ist, sie heilig zu sprechen. Nichts an ihnen ist heilig.

Der vierte König, dessen Legende eher jung ist, wohl aus dem neunzehnten Jahrhundert, ergänzt diejenige der drei um Dinge, die bei den drei anderen vermisst werden könnten. Er bildet, etwa in dem Roman von Edzard Schaper aus dem Jahr 1961, eine Gegenfigur zu den dreien. Der vierte König nämlich kommt nie an. Er möchte auch dem Kind helfen, aber er vertrödelt auf der Anreise seine Zeit, hilft Fremden in Not, vergibt das Gold, das er mit sich führt, an Menschen, die es nötiger haben als er. Bei Schaper geht dieser vierte König freiwillig auf eine Galeere, um für eine Kaufmannswitwe Schulden abzutragen – dreißig Jahre lang als Rudersklave!, bis er am Ende kraftlos zurückkehrt ins Heilige Land und nur noch die Kreuzigung des ebenfalls dreißigjährigen Christus erlebt. Im Unterschied zu den heiligen drei ist der vierte in der Tat zumindest anfangs ein König, nicht aus dem Morgenland, sondern aus dem Norden, vielleicht dem heutigen Russland. Er ist etwas naiv, lässt sich von anderen übertölpeln und wirkt wie eine Karikatur auf den Bibelspruch, dass selig wohl nur die geistig Armen werden.

Die Legende vom vierten König kennt freilich Varianten. Michel Tournier hat 1980 in seinem Roman „Gaspard, Melchior & Balthazar“ einen vierten König mit Namen Taor aus Mangalore, einer Stadt an der westindischen Küste erzählt, der auf dem Seeweg anreist. Während nun in dem Roman Schapers der Kindermord nicht vorkommt, ein Manko, das seine „Legende“ ad absurdum führt, weil durch diese Auslassung die Erzählung um die drei Könige ihre tragische Berechtigung verliert, hat Michel Tournier den Kindermord als Ausdruck eines tyrannischen Systems erzählt.

Eine weitere Frage betrifft die theologische Legitimität einer Bühnenfassung biblischen Geschehens, das sich im Original scheinbar anders liest als wir es in einer Inszenierung wiedergeben. Dazu zwei Punkte: Die Handlung um den Vierten König läuft fast komplett neben dem biblischen Geschehen und füllt nur dort inhaltlich auf, wo die Bibel Lücken lässt oder eine kreative Deutung zulässt oder gar erfordert. Wo dies nicht der Fall ist, wo biblische Inhalte durchaus von uns aufgegriffen werden, reichen diese Elemente bis zu den Geistlichen Dramen der Carmina Burana aus dem 13. Jahrhundert zurück. In einem der dort überlieferten Dramen wird die tragische Verflechtung der drei Könige zwischen Herodes und der Heiligen Familie dramatisiert und konfligiert. (Nr. 227 der Edition Diemer).

Eine mögliche Freiheit in der Gestaltung der Kreuzigungs-Szene erlaubt uns eine andere Quelle. Friedrich von Spee, der große Gegner der Hexenprozesse, der musikalische Lyriker des Barock, bringt in seiner Sammlung „Trutz-Nachtigal“ ein Gedicht mit dem Titel „Ein trauriges Gespräch so Christus am Kreuz führt“. Es handelt sich um eine ergreifende, eigenständige und zugleich kritische Variante der Kreuzigungs-Gespräche. Darin führt Jesus Dialoge am Kreuz, mit dem Zimmermann, dann mit der Obrigkeit, die wie bei uns einfach nur Obrigkeit heißt. Auch von diesem Text haben wir uns anregen lassen. Nicht alle Quellen sind hiermit genannt, aber das Stück besteht ja auch bei weitem nicht nur aus Quellen.

Ein Novum liegt in der handlungslogischen Verbindung des Goldes mit dem Kindermord (siehe Inhaltsangabe). Das Gold treibt die Handlung an wie ein Motor, es ist für uns ein Symbol dafür, dass die Tragik, das Böse, die Negativität des Geschichtlichen nicht Religiosität verschuldet, sondern unter Ausnutzung religiöser Bedürfnisse die dahinter steckenden materiellen Interessen der Obrigkeit.

Der epische Bericht über die dreißig Jahre der Abwesenheit des Wolodja, während der er zur See gefahren ist und sich hochgearbeitet hat, enthält einige historisch verifizierbare Details. Das Mittelmeer war immer ein Meer der Gewalt, der Kriege und Katastrophen. Die Seekriege der Griechen, der Römer, der Christen und Mohammedaner haben sein Wasser mit Blut gefärbt, noch heute erleiden und scheitern die flüchtenden Menschen an der Grenzfunktion dieses Meeres. Der antike Schiffbau, die Städte, die Truppentransporte waren Ursache eines Holz-Bedarfs, in dessen Folge ganze Inseln und Landstriche kahlgeschlagen, unwiederbringlich gerodet wurden, es war die vielleicht erste menschenverschuldete ökologische Katastrophe überhaupt. Holz wurde eine teure Ware, die aus anderen Gegenden herangeholt werden musste.

Einige Motive in diesem Libretto vom Vierten König mögen zunächst eigenwillig anmuten, wenn nicht im christlichen Sinn gewagt, und im konfessionslosen Sinn wenig mystisch. Das Gegenteil ist der Fall.

Der Erzählung in der Bibel läuft unsere Handlung an keiner Stelle zuwider. Die Handlung spielt auf der Bühne gleichsam neben dem biblischen Geschehen parallel, beide Sphären begegnen sich an einigen markanten Stellen: In den Motiven des Sternes, der Begegnung mit den „Magoi“, dem Kindermord und dem Ende Christi berühren sich die Erzählstränge. Dem Tragischen, das in der Kreuzigung zu liegen scheint, folgt die Anlage unseres Stückes als Tragödie. Aus dem Geist der Musik wird diese Gattung neu geboren, weil wir das Experiment wagen, unsere Auffassung von – griechischer – Tragödienform mit dem biblisch-antiken Inhalt zu verbinden. Das gilt auch für die Frage nach dem guten Ende des Geschehens. Die griechische Tragödie kennzeichnet, ein unlösbares, unentrinnbares Schicksal auf die Bühne zu stellen, angesichts dessen – Aristoteles zufolge – der Zuschauer Furcht und Mitleid empfinden soll, um eine Katharsis, eine innere Reinigung zu erfahren. Im christlichen Kontext finden wir diese Wirkung des Tragischen im Begriff der Wiedergeburt, oder, wie Jacob Böhme sagen würde, in der Gelassenheit. Man muss also die Wiedergeburt Jesu Christi nicht auf die Bühne stellen, um sie im Zuschauer dennoch zu ermöglichen.

Der dritte Akt befasst sich formelhaft mit einer Religiosität, die wir als eine mystische vielleicht bezeichnen dürfen, indem sie nicht den Anmaßungen einer konfessionellen Ideologie entspricht, sondern befreiend auftritt. „Nicht mein Ruf als Wundermann wird als Glaube überleben, wer mich frei erkennen kann, wird selbstbewusst ein Beispiel geben“, singt Christus am Ende. Es könnte ein Anfang sein.


INHALTSANGABE


1. Akt

Die Sternedeuterin am Hof des jungen Königs eines nördlichen Landes sieht – ebenso wie ihre Kollegen im Morgenland – den Kometen über Bethlehem, den sie inhaltsgleich wie jene deutet: Die Botschaft des Kometen kündigt die Geburt des neuen Erdenkönigs Christus an. Wolodja, so lautet der Name des vierten Königs, ist mit seiner Regierungsarbeit ohnehin überfordert, will aus der Enge seiner Verantwortung in die Welt und sieht in der Hilfe für den neuen großen König die Chance auf anerkannte Heldentaten. Er nimmt Gold mit auf den Weg, um es dem neuen König als Zeichen der Huldigung zu überreichen und zieht gen Süden. Er trifft die „heiligen“ drei Könige im Wüstensand. Er will als vierter König sich ihnen anschließen, aber diesen Wunsch versagen ihm die anderen drei, weil sie, laut Bibel, im Auftrag des Tyrannen Herodes reisen, um Aufschluss über den Aufenthalt von Jesus Christus zu erfahren.

Wolodjas Pferd, das Wanka heißt, stirbt aufgrund der Strapazen seiner Reise. Er muss zu Fuß weiterwandern. Wolodja trifft auf einen verzweifelten Kaufmann. Der berichtet, dass er ausgeraubt worden sei, sein Gold ist weg. Dadurch kann er seine Schulden nicht begleichen. Es wird darauf angespielt, dass es eben das Gold ist, das Caspar, Melchior und Balthasar dem Jesus Christus neben Myrrhe und Weihrauch in diesem Augenblick schenken. Der Kaufmann verzweifelt über den Verlust des Goldes und tötet sich selbst – warum, wird dem Wolodja erst später klar. Wolodja nimmt das Pferd des toten Kaufmanns, um weiter reisen zu können. In einer Stadt am Meer trifft er die Frau des Kaufmanns, sie verdingt sich zum Schulden-Bezahlen. Ihr eben geborener Sohn droht als Pfand zu dienen.

Die Obrigkeit verdächtigt Wolodja, den Kaufmann ermordet zu haben, weil er das Pferd des Kaufmanns reitet. Wolodja hilft dafür der Familie, indem er von seinem, aus der Heimat mitgebrachten Gold deren Schulden bezahlt. Dadurch wird er verschont. Er wandert weiter, aber inzwischen ist der Komet erloschen, weil Christus nun geboren und auf der Flucht nach Ägypten ist. Zuvor sind Caspar, Melchior und Balthasar bei Jesus Christus gewesen und haben ihren biblischen Sinneswandel erlebt. Das Gold, so kann vermutet werden, das die Schergen der drei Könige dem Kaufmann geraubt haben, schenken sie nun dem neuen König im Stall.

2. Akt

Wolodja trifft Caspar, Melchior und Balthasar ein zweites Mal, die sich auf dem Rückweg in ihre Heimatländer befinden. Sie sind nicht zu Herodes zurückgekehrt, weil Gottes Stimme ihnen dies untersagt hat. Dadurch wird Herodes, wie die Bibel sagt, wütend und beschließt den Kindermord zu Bethlehem.

Eine Blinde tritt auf und berichtet: Herodes beauftragte sie, die Blinde, mit der Legitimierung und Durchführung des Kindermordes. Kein normaler Mensch tötet so einfach alle neugeborenen Kinder einer Stadt. Sie liefert die ideologische Rechtfertigung des Kindermordes, indem sie erklärt, dass Satan der Vater dieser Kinder sei. Die Blinde ist zudem korrupt und lässt gegen Gold Kinder freikaufen. Hier ahnt man eine Verquickung der Motive Gold und Kindermord. Zu diesen Freigekauften gehört auch der Sohn des Kaufmanns – darauf wird jedoch erst im 3. Akt angespielt – und: Jesus Christus. Durch ihren Sinneswandel an der Krippe bekommt das Geschenk des Goldes also erst einen nachvollziehbaren Sinn: Es ermöglicht der heiligen Familie die Flucht durch Freikauf.

Die Seelen der toten Kinder verwandeln sich in Bienen und zerstechen der Aufhetzerin und Ideologin ihr Gesicht, weshalb sie erblindet. Die Blinde bereut daraufhin, indem sie von dem Massaker berichtet. Ihr Bericht ist eine Beichte. Die Mütter der toten Kinder klagen. Die Obrigkeit jedoch leugnet die Kindermorde, spielt sie herunter und verbietet die Aussagen darüber.

Die Obrigkeit unterstellt Wolodja, den Kaufmann getötet und sein Pferd genommen zu haben. Wolodja flieht und rettet sich auf eine Galeere und verdingt sich als Ruderer. Die nihilistische Blinde singt das Lied vom Nichts, als ihr Abschiedslied, ein emotionaler Höhepunkt des ganzen Stückes.

Zwischenspiel

Dreißig Jahre ist Wolodja fort. In einem relativ kurzen Prosabericht werden diese Jahre nur berichtet, vergleichbar mit der Teichoskopie („Mauerschau“ oder Botenbericht) des griechischen Dramas. Wolodja kehrt als reicher Mann und als Schiffseigner zurück. Er hat sich vom Sklaven zum Piraten, dann zum Handelsherrn mit eigenem Schiff hochgearbeitet.

3. Akt

Dreißig Jahre später: Wolodja liefert Holz nach Jerusalem. Sein Auftraggeber ist ein Zimmermann. Es ist der Sohn des dreißig Jahre zuvor ausgeraubten Kaufmanns. Er baut Hinrichtungskreuze und schlägt Delinquenten die Nägel ein. Dadurch nimmt er die Funktion eines Henkers an.

Dieser Sohn des Kaufmanns erfährt, wer Wolodja ist. Wolodja steht für ihn noch immer als Mörder seines Vaters vor Augen. Sophia aber glaubt an Wolodjas Unschuld und spielt darauf an, dass ihr Sohn, der genau 30 Jahre alt ist, damals freigekauft wurde, und auch dafür war das Gold des Kaufmanns vorgesehen, das ihm gestohlen wurde, und das Wolodja der Sophia aus seiner Tasche ersetzte. Der Sohn glaubt immer noch, dass dieses Gold dasjenige war, das der Kaufmann mit sich führte. Deshalb wird Wolodja bei der Obrigkeit angezeigt.

Die Obrigkeit inhaftiert ihn. Im Kerker erfährt er von Jesus Christus, der hingerichtet werden soll. Der Sohn des Kaufmanns wird ihn ans Kreuz nageln. Er gehört zur Obrigkeit, er, der Freigekaufte.

Der Schlussgesang von Wolodja fasst seine Botschaft zusammen. Er sieht um das Haupt des Jesus Christus Bienen fliegen als Zeichen,mdass sich an ihm nun doch der letzte Kindermord erfüllt, aber auch als Zeichen der Verbundenheit mit den Opfern der Terrorherrschaft. Wolodja wirft dem Henker symbolisch seine Perlen vor die Füße. Der Henker (Sohn des Kaufmanns) lässt ihn verächtlich frei. Sophia, die Witwe des toten Kaufmanns, sieht, wie ihr Sohn den Jesus Christus ans Kreuz nagelt. Ihr Monolog beschließt das Thema der leidenden Mütter.


 

Dramatis Personae (in der Reihenfolge des Auftritts)

Wahrsagerin

& Doppelrolle mit der Blinden

Alt

Wolodja, der vierte König

Caspar

& Doppelrolle mit der Obrigkeit

Bass

Tenor

Melchior

& Doppelrolle mit der Obrigkeit

Bariton

Balthasar

& Doppelrolle mit der Obrigkeit

Bass

Kaufmann

& Doppelrolle mit dem Zimmermann

Bass

Obrigkeit, drei Personen

Doppelrollen mit Cas., Mel., Bal.


Sophia (Frau des Kaufmanns)

Sopran

Die Blinde

& Doppelrolle mit der Wahrsagerin

Alt

Zimmermann, Sohn d. Kaufm.

& Doppelrolle mit dem Kaufmann

Bass

Jesus Christus

Bass


Vier Berichterstatter/innen

Doppelrolle mit Caspar

Doppelrolle mit der Blinden

Doppelrolle mit Balthasar

Doppelrolle mit Sophia

Tenor

Alt

Bass

Sopran


Evangelisten-Sprecher

Doppelrolle mit Jesus Christus

Bass


Chor

Ballett der Bienen 8-12 Tänzer

Danse macabre im 2. Akt

Danse solennelle im 3. Akt


Orchester

Besetzung siehe folgende Anmerkungen des Komponisten:


Anmerkungen zu Komposition und Besetzung der Oper


von Neithard Bethke

Bei vielen meiner größeren Kompositionen, wie etwa Symphonien, Oratorien als auch bei dieser Oper habe ich musikalische Anregungen, formale Bausteine und melodische und rhythmische Elemente von früher entstandenen kleineren Werken entnommen. Da ich immer bestrebt war und bin, sozusagen musikalische „Archetypen“ zu erfinden, die vielseitigen Zweck zu erfüllen und uneingeschränkt verschiedene inhaltliche Aussagen auszudrücken imstande sein können, eben, weil es allgemein gültige formale musikalische Elemente sind, konnte ich bei der Komposition dieser Oper auf viele lebendige Takte, Phrasen und Passagen aus meinen Liedern, den Orgel- und Klavierwerken, aus Geistlichen Konzerten als auch aus Chorwerken zurückgreifen. Diese „Puzzle“-Teile sind als eine Gesamtform bildender Einzel-Intentionen zu bewerten. Da sie alle aus dem gleichen Geist und den gleichen musikalischen Ansprüchen geschaffen wurden, bilden sie auch hier insgesamt eine stilistische und formale stringente Einheit.

Die notwendige Anzahl von Sängern, die auf der Bühne auftreten, kann auch durch Doppelfunktionen in verschiedenen Rollen reduziert werden. In drei nachfolgend aufgeführten Fällen ist es sogar dringend anzuraten, auf jeden Fall eine Doppelrolle anzustreben, weil musikalische und textliche Bezogenheiten und Korrespondenzen dieses nahe legen und somit zum geistigen Verständnis des Werkes beitragen. Natürlich muss das „outfit“ der handelnden Personen in der jeweiligen Rolle angepasst und geändert werden.

Der Alt sollte möglichst in einer Doppelrolle von Wahrsagerin und der Blinden besetzt werden. Fast notenidentische Arien mit neuem Text zeigen auch hier die musikalische Bezogenheit auf, die dem Text schon immanent ist. Zusätzlich ist möglich, im Zwischenspiel die Altrolle ebenfalls der Berichterstatterin dieser Sängerin zuzuordnen.

Der Sopran soll auf jeden Fall, neben dem umfangreichen Part im dritten Akt als Sophia, die Rolle der letzten Berichterstatterin im Zwischenspiel übernehmen, die ebenfalls fast notenidentisch den Klagegesang am Schluss vorbereitend einführt und vorwegnimmt.

Die Heiligen Drei Könige mit Tenor Caspar, Bariton Melchior und Bass Balthasar verwandeln sich in die anonyme („geharnischte“) Obrigkeit, wo immer diese auftritt. Die Obrigkeit tritt, ebenso, wie es ja auch die Heiligen Drei Könige tun, immer als geschlossenes Dreierpack auf.

Der Bass Wolodja ist genügend ausgelastet im gesamten Verlauf der Oper und hat ausschließlich diese Rolle zu singen.

Die Basspartien des Kaufmanns und des Zimmermanns (der Sohn des Kaufmanns) sollten in einer Person vereinigt sein. Dem Aussehen nach muss man den Altersunterschied visuell variieren durch Bart, Frisur usw.

Jesus Christus als Bass sollte möglichst nur diese Partie übernehmen, allenfalls kann er (anders gekleidet) noch die Sprecher-Partie als Evangelist im 2. Akt mit übernehmen.

Die vier nacheinander auftretenden Berichterstatter(innen) Tenor-Alt-Bass-Sopran sollten einheitlich in graue Gewänder gehüllt sein. Von links jeweils auf die Bühne tretend, gehen sie am Ende ihres Gesangs nach rechts ab, während schon der nächste Berichterstatter von links nachzieht. Sind zu wenig andere geeignete Sänger vorhanden, kann man durchaus folgendermaßen besetzen:

Tenor (Caspar)

Alt (Die Blinde)

Bass (Balthasar)

Sopran (Sophia)

Der Evangelientext im 2. Akt sollte von einer zusätzlichen männlichen, tragenden Sprech-Stimme (Schauspieler?) übernommen werden, seine Worte sind melodramatisch von einem kleinen, immer identischen Instrumentarium unterlegt. Es ist nicht erforderlich, dass ganz genau die rhythmische Fixierung der Sprechstimme eingehalten wird. Es könnte aber sehr gut auch der ja erst im 3. Akt auftretende Jesus-Sänger hier die als Melodram geschaffene Sprechpartie übernehmen.

Der vierstimmig besetzte gemischte Chor ist, wie bei der attischen Tragödie, als der das Geschehen betrachtende Kommentator zu verstehen, der das wiedergibt, was in der Handlung kaum sichtbar ist, aber Voraussetzung zum Verstehen bleibt. Nur bei einer kurzen Episode ist sogar der Chor (Chor der Mütter) in das Handlungsgeschehen im wörtlichen Schlagabtausch mit Wolodja eingebunden, wobei nur die Frauenstimmen den Text singen, die Männerstimmen – die Harmonie vervollständigend – lediglich auf Tonsilbe do mitwirken.

Es wäre wünschenswert, wenn ein klein-besetztes Ballett (8-12 Tänzer/innen) im 2. und 3. Akt auftritt als visuelles Darstellen des Gedankens, dass die Seelen der von Herodes ermordeten Kinder in Bethlehem sich als Bienen verwandeln.

So geht es während des Gesanges von der Blinden um einen zu gestaltenden Danse Macabre im 2. Akt., sowie bei der dreiteiligen Schlussarie des Wolodja im 3. Akt um einen Danse Solennelle. Dieser leitet dann über in das von Christus geprägte Schlussbild.

Die angestrebte Instrumentation und das gesamte benötigte Instrumentarium ist bewusst auf eine mittlere Orchesterbesetzung zugeschnitten, welche einer erleichterten Aufführungspraxis auch in kleineren Opernhäusern entgegenkommen dürfte. So ist erforderlich:

Flöte 1 und 2, Oboe 1 und 2, Klarinette 1 und 2, Fagott 1 und 2

Trompete 1 und 2, Posaunen 1 und 2, vier Pauken (vier Maschinenpauken)

6-faches Schlagzeug (4 Spieler erforderlich) mit Großer Trommel, Kleiner Trommel, Triangel, Becken, großer Gong, Röhrenglocken.

Marimba(phon)

Vibraphon

Harfe

Celesta

Streichquintett mit der Minimalbesetzung

6 I. Violinen , 5 II. Violinen, 4 Viola, 3 Violoncelli, 2 Kontrabässe

Eine kleinere Streicherbesetzung ist wegen der Stimmteilungen nicht möglich.